8. Das passt nicht... (Fragen zu Satzbedeutung und Satzbetonung)

8.01 "Sehr geehrter Herr Mühlberger, bei dieser Gelegenheit möchte ich mich bei Ihnen erkundigen, ob ..." –

Warum ist das als Briefanfang nicht geeignet? Welcher Lehrerkommentar trifft Ihres Erachtens am ehesten den Punkt?

1) Einen Brief mit einer Präposition zu beginnen, ist stilistisch unschön.
2) Das Wort GELEGENHEIT ist ein Wort der Umgangssprache und wirkt in einem eher förmlichen Schreiben (SEHR GEEHRTER...) fehl am Platze.
3) Der Ausdruck BEI DIESER GELEGENHEIT bezieht sich auf eine schon vorher entstandene Gelegenheit, und die liegt am Anfang eines Briefes noch nicht vor.
4) Der Ausdruck BEI DIESER GELEGENHEIT macht in einem Brief keinen Sinn, weil ein Brief keine Gelegenheit ist.

8.02 "Ich habe heute nur fast zwei Seiten geschrieben." – Der gemeinte Sachverhalt scheint klar; warum wirkt der Satz trotzdem falsch?

1) NUR impliziert DAS IST WENIG, FAST impliziert DAS IST VIEL. Somit entsteht ein Widerspruch in sich.
2) NUR bedeutet SEHR WENIG und lässt sich deswegen nicht mit ZWEI SEITEN verbinden. Nur eine Seite wäre wirklich sehr wenig.
3) Mit der Bedeutung hat es nichts zu tun; zwei Adverbien können grundsätzlich nicht nacheinander stehen (NUR FAST).
4) Es handelt sich um einen Wortstellungsfehler: NUR steht immer direkt vor dem Zahlwort, auf das es sich bezieht (ZWEI).

8.03 Von den "nach dem Krieg zurückzahlenden Schulden" schreibt ein Student in Bezug auf den Zweiten Weltkrieg. Worin liegt der Fehler?

1) Der Zweite Weltkrieg liegt in der Vergangenheit; deshalb kann man nicht das Partizip Präsens verwenden.
2) Die Schulden sind inzwischen gewiss schon getilgt; deshalb kommt das Partizip Präsens nicht in Frage.
3) Die Schulden zahlen sich nicht selbst zurück; deshalb kommt das Partizip Präsens aktiv nicht in Frage.
4) Falsch ist nur das Wort SCHULDEN, denn gemeint ist ja offensichtlich eine Schuld (Singular).

8.04 "Ich hoffe, dass jeder mit mir einverstanden wird." – Seltsam, nicht? Aber warum? Hier sind wohl zwei Argumentationen möglich, eine mehr inhaltliche und eine grammatische. Welche sind’s?

1) Dass jeder mit einem einverstanden sein könnte, ist eine ganz absurde Hoffnung; irgendwer ist immer dagegen.
2) Einverstanden kann man nur sein, nicht werden. Das hängt damit zusammen, dass EINVERSTANDEN nicht steigerbar ist. (Größer kann man werden, klüger auch.)
3) WERDEN ist nicht das Futur von SEIN, und EINVERSTANDEN muss mit einer Form des Verbs SEIN verbunden werden (bzw. sein).
4) Doch, WERDEN ist das Futur von SEIN, aber dem Sprecher geht es ja offensichtlich nicht um die Zukunft, sondern um das Hier und Jetzt. Deswegen müsste der Satz im Präsens stehen.
5) WERDEN braucht, ähnlich wie die Modalverben, stets ein zweites Verb als Ergänzung, und EINVERSTANDEN ist kein Verb.

8.05 Ein Student antwortet auf einen Vorschlag: "Ja, das werde ich eines Tages machen." Mit dieser Betonung wirkt der Satz seltsam, und es gibt noch einige andere Wörter, die nie den Satzakzent tragen – ein Problem besonders für Deutschlerner, deren Muttersprache (wie z.B. Französisch) keinen freien Satzakzent kennt. Welches der folgenden Wörter kann ebenfalls nie den Hauptakzent eines Satzes tragen?

1) umsonst
2) sonst
3) sogar
4) allein
5) auch
6) schon
7) doch

8.06 "Mein Onkel war neulich in Deutschland", erzählt ein Student. Warum kann NEULICH in diesem Satz nicht den Satzakzent tragen?

1) Adverbien tragen nie den Satzakzent.
2) Temporale Adverbien tragen nie den Satzakzent.
3) Adverbien tragen den Satzakzent nur, wenn sie am Satzende stehen.
4) Der Satzakzent fällt immer auf das letzte Nomen des Satzes; deswegen muss hier DEUTSCHLAND betont werden.
5) Manche Adverbien können den Satzakzent nur tragen, wenn sie erweitert sind (ERST NEULICH, SCHON NEULICH).

8.07 Ein tschechischer Student schreibt:

"Ich gehe nicht oft ins Konzert, weil es in Tabor viele Konzerte nicht gibt."

Er hätte auch schreiben können:

"Ich gehe nicht oft ins Konzert, weil es in Tabor nicht viele Konzerte gibt."

Worin unterscheiden sich die beiden Sätze?

1) Der erste Satz enthält eine Aussage über die Zahl der Konzerte in Tabor, der zweite eher darüber, wieviele Konzerte es noch geben könnte oder sollte.
2) Nein, umgekehrt: Der zweite Satz handelt von der Zahl der Konzerte in Tabor, der erste eher davon, wieviele Konzerte es noch geben könnte oder sollte.
3) Einen Bedeutungsunterschied gibt es nicht, aber der erste Satz ist ungrammatisch: Ist das letzte Wort eines Satzes ein Verb, so darf die Negation nicht unmittelbar vor diesem stehen.
4) Beide Sätze sind grammatisch korrekt und bedeuten das Gleiche; der Unterschied liegt auf der stilistischen Ebene, und zwar ist der zweite stilistisch besser.

8.08 "Ihre Kinder wohnen mit ihrem Vater." – Wie bewerten Sie diesen Satz?

1) Grammatisch ist der Satz richtig, aber er ist mehrdeutig.
2) Der Satz ist grammatisch falsch, aber in seiner Aussage eindeutig.
3) Der Satz ist grammatisch falsch und außerdem mehrdeutig.
4) Der Satz ist stilistisch nicht schön, aber grammatisch richtig und in seiner Bedeutung nicht missverständlich.

8.09 Welcher dieser Sätze impliziert, dass Sie tatsächlich gekommen sind?

1) "Ich wollte eigentlich kommen."
2) "Ich wäre sonst gekommen."
3) "Ich konnte leider nicht kommen."
4) "Ich hätte eigentlich kommen wollen."
5) "Ich hätte sonst nicht kommen können."

8.10 "Vor der Wohnungsvermittlung stehen lange Schlangen von Studenten, um ein Zimmer zu bekommen." – Warum wirkt der Satz so seltsam?

1) Der Satz impliziert, dass Schlangen in Zimmern wohnen wollen; sie wohnen aber eher in Erdlöchern und Felsspalten.
2) Der Satz impliziert, dass Schlangen stehen können; sie können aber nur liegen und kriechen.
3) Der Satz impliziert, dass je eine große Gruppe von Studenten in einem Zimmer wohnen will, und das wäre seltsam.
4) Der Satz impliziert, dass man durch Stehen ein Zimmer bekommt, und so einfach ist es nun auch wieder nicht.
5) Der Satz impliziert, dass Studenten sich Schlangen halten, die lästige Arbeiten wie das Anstehen vor der Zimmervermittlung für sie übernehmen, was natürlich Unsinn ist.

8.11 Ein einfacher Trick, wenn man als Lehrer den Unterschied im Gebrauch zweier Ausdrücke grad nicht erklären kann, besteht darin, diesen als "rein stilistischen" zu deklarieren. Damit hat man gesagt: Der Sachverhalt, der ausgedrückt wird, ändert sich nicht, wenn ich den einen durch den anderen Ausdruck ersetze. Manchmal ist dies sicher richtig, aber vielleicht sind wir auch manchmal etwas zu großzügig. Bei welchen zwei der folgenden Gleichungen handelt es sich wirklich um rein stilistische Alternativen mit gleicher Bedeutung?

1) Wir fangen gleich an = Wir beginnen gleich
2) Neulich war ich krank = In letzter Zeit war ich krank
3) Sie hat ihr Studium jetzt beendet = Sie ist jetzt fertig mit ihrem Studium
4) Ich muss es mir nochmal überlegen = Ich soll es mir nochmal überlegen
5) Sie beginnen immer gleichzeitig = Sie beginnen immer zur gleichen Zeit
6) England war damals eine Kolonialmacht = England war früher eine Kolonialmacht

8.12 Fehler auf der Satzebene lassen oft unterschiedliche Korrekturen zu, und manchmal ist schwer zu entscheiden, welches die hilfreichste ist. Hier sehen Sie fünf fehlerhafte Sätze jeweils mit einer (in diesem Sinne zweifelhaften) Korrektur; eine dieser Korrekturen ist aber darüber hinaus auch semantisch problematisch, weil sie die vermutlich intendierte Bedeutung des korrigierten Satzes nicht berücksichtigt. Welche ist das?

1) "Ich rate ihm, dass ich besser machen kann."
Korrektur: > ..., es besser zu machen.
2) "Das ist gut, dass Besuchen Schule ist ohne kostet."
Korrektur: > ...., dass der Schulbesuch kostenlos ist.
3) "Kinder muss geht zu Schule von 6 Jahre bis sind 18."
Korrektur: > ... müssen von 6 bis 18 zur Schule gehen.
4) "Sie taten so, als ob es ein Unfall passiert hätte."
Korrektur: > ..., als ob ein Unfall passiert wäre.
5) "Dieses Bild war von Renoir gemacht."
Korrektur: > ... wurde von Renoir gemalt.

 

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