4. Gibt’s da eine Regel? (Grammatik I)

 

4.01 "Gibt es eine Regel, wann man NICHT KÖNNEN und wann man NICHT BRAUCHEN verwendet?" fragt (sinngemäß) eine Studentin. Sie hatte "sie können nicht diese Prüfung ablegen" gesagt und war missverstanden worden; gemeint hatte sie nämlich "sie brauchen diese Prüfung nicht abzulegen". Die Antwort ist sicher nicht ganz leicht, u.a. weil BRAUCHEN mehrere Funktionen erfüllt. Von den 4 aufgeführten Bedeutungsgleichungen stimmt nur eine nicht. Welche ist es?

1) BRAUCHEN = HABEN MÜSSEN
2) BRAUCHEN = TUN MÜSSEN
3) NICHT BRAUCHEN = NICHT HABEN MÜSSEN
4) NICHT BRAUCHEN = NICHT TUN MÜSSEN

 

4.02 "Warum hat ANERKANNT kein Präfix GE-? Es ist doch ein Partizip, oder?" fragt eine Studentin. Welche Antwort ist sachlich richtig?

1) "ANERKENNEN ist ein trennbares Verb, und trennbare Verben bilden das Partizip ohne GE-."
2) "ERKENNEN ist kein trennbares Verb, und Verben mit untrennbaren Vorsilben bilden das Partizip ohne GE-."
3) "Wenn das Verb mit einem Vokal beginnt, entfällt die Vorsilbe GE- ; GEANERKANNT – das könnte man ja kaum sprechen."
4) "Wenn das Verb mit einem Vokal beginnt, entfällt die Vorsilbe GE- ; ANGEERKANNT – das könnte man ja kaum sprechen."

 

4.03 "Ich erinnere mich nicht, ob ich mir heute die Zähne geputzt habe": Warum wird als Reflexivpronomen einmal MICH benutzt, das andere Mal MIR? Welche Antwort erscheint Ihnen die vernünftigste?

1) SICH ERINNERN ist reflexiv, nicht aber SICH DIE ZÄHNE PUTZEN, denn die Zähne kann man auch z.B. einem Kind putzen. Das erklärt die unterschiedlichen Pronomen.
2)
Das Reflexivpronomen steht immer dann im Dativ, wenn das Verb schon eine Akkusativ-Ergänzung hat.
3)
In ICH ERINNERE MICH steht MICH deswegen im Akkusativ, weil nach SICH ERINNERN AN auch der Akkusativ steht.
4) Reflexive Verben verlangen dann ein Reflexivpronomen im Dativ, wenn sie eine Handlung bezeichnen. SICH ERINNERN ist keine Handlung, sondern ein Vorgang.


 

4.04 Bei den sogenannten Wechselpräpositionen entspricht dem Akkusativ für Richtungsangaben (WOHIN: IN DEN WALD) der Dativ für Ortsangaben (WO: IM WALD). Gibt es noch weitere solche Entsprechungen?

1) Ja; der Ortspräposition ZU entspricht normalerweise die Richtungspräposition NACH (vgl. ZU HAUSE / NACH HAUSE).
2) Ja; der Ortspräposition BEI entspricht normalerweise die Richtungspräposition ZU (vgl. BEI SIEMENS / ZU SIEMENS).
3) Ja; bei Orts- und Ländernamen wird für Ortsangaben meist IN verwendet, für Richtungs-angaben meist NACH (IN KANADA / NACH KANADA).
4) Nein; solche Entsprechungen gibt es nur im Bereich der Rektion (Dativ / Akkusativ), nicht im Bereich der Präpositionen selbst; die zitierten Beispiele sind Ausnahmen.

 

4.05 Die Pluralbildung der Substantive ist zwar nicht gerade regelmäßig, folgt aber doch bestimmten Grundmustern – Regeln mit Ausnahmen. Diese Substantive hier bilden ihre Pluralform nach zwei solchen Mustern. Eins von ihnen aber passt in keins der beiden Schemata; welches ist es?

1) Becher        6) Zimmer         11) Bruder
2) Löffel           7) Esel             12) Kamin  
3) Tisch           8) Fenster        13) Schwester
4) Stuhl           9) Maus           14) Vater
5) Ofen          10) Mutter          15) Elektroherd 

 

4.06 Auch die folgenden Substantive bilden ihre Pluralform nach wiederum zwei verschiedenen Mustern und eins von ihnen passt in keins der beiden; welches ist es?

1) Glas              7) Tasse  
2) Schere           8) Loch     
3) Brot               9) Name
4) Haus           10) Bild
5) Dach           11) Hose
6) Löwe           12) Dorf

 

4.07 Die meisten Studenten kennen einige Regeln, nach denen man das Genus der Substantive bestimmen kann (z.B. "Wörter auf -HEIT und -KEIT sind feminin"). Die meisten dieser Regeln beziehen sich auf mehrsilbige Substantive. Für einsilbige Substantive ist es schwerer, brauchbare Regeln zu finden. Können Angaben über das zahlenmäßige Verhältnis von Maskulina (m) : Feminina (f) : Neutra (n) unter den einsilbigen Substantiven für Lerner vielleicht eine Hilfe sein?

1) Nein – die zahlenmäßige Verteilung der einsilbigen Substantive auf die drei Genera ist ungefähr gleich.
2) Ja – aber nur insofern, als feminine Substantive fast immer mehrsilbig sind (LIEBE usw.); Ausnahmen sind nur FRAU und einige Substantive auf -T (ZEIT, WUT).
3) Ja – m : f : n verhalten sich zahlenmäßig etwa wie 3 : 2 : 1 .
4) Ja – m : f : n verhalten sich zahlenmäßig etwa wie 4 : 1 : 2 .
5) Ja – m : f : n verhalten sich zahlenmäßig etwa wie 1 : 2 : 3 .

 

4.08 Vielleicht die wichtigste Regel für die Wortstellung im Hauptsatz lautet "Das finite Verb steht an der zweiten Stelle". Aber was alles kann an der ersten Stelle stehen? Keine der folgenden Antworten ist ganz falsch, aber nur bei einer stimmt die genannte Einschränkung. Welche ist es?

1) Adverbien, aber nur temporale (MANCHMAL usw.) und lokale (HIER usw.)
2) Adjektive, aber nur wenn sie erweitert sind (BESONDERS SCHÖN WAR DER ANFANG).
3) Verben, aber nur als Infinitive (SINGEN KANN SIE) oder Partizipien (GESUNGEN HAT SIE OFT).
4) Nominalgruppen, aber nur wenn sie das Subjekt des Satzes bilden (DIE UNI IST AM SONNTAG ZU).
5) Nebensätze, aber nur solche, die mit OB oder DASS eingeleitet sind (OB ICH EUCH TREFFEN KANN, WEIß ICH NOCH NICHT).

 

4.09 Die Entscheidung, ob wir Fehler aufgreifen oder lieber ignorieren, hängt sicher oft davon ab, ob wir darin die Verletzung einer Regel, also einen Verstoß gegen eine systematische Verwen-dungsweise sehen oder nur gegen eine an ein bestimmtes Wort gebundene Idiosynkrasie; für die Studenten ist ja der Lerngewinn größer, wenn sie eine Regelmäßigkeit entdecken, als wenn sie nur ein weiteres Wort richtig gebrauchen können. ("Ich antworte jetzt über diese Frage." – "Auf diese Frage!" – "Ah, und warum AUF?" – Nun, vielleicht "weil" es auch REAGIEREN AUF heißt, ZURÜCKKOMMEN AUF usw.)

Die folgenden Verwendungen von Präpositionen sind fast alle in dem Sinne systematisch, dass sie nicht an das hier benutzte Verb gebunden sind, sondern in ähnlicher Bedeutung auch bei anderen Verben mit ähnlicher Bedeutung vorkommen. Welche Präposition bildet eine Ausnahme, d.h. zu welcher lassen sich solch ähnliche Verwendungen kaum finden?

1) Wir freuen uns über jede Kleinigkeit.
2) Wir können über alles ausgiebig diskutieren.
3) Die Soße bestand nur aus Mehl, Wasser und Salz.
4) Das hängt jetzt von Deiner Entscheidung ab.
5) Lemminge gelten als besonders gefährdet.

 

4.10 Fehler wie "Er ist meinen Freund" zeigen, dass das Konzept DIREKTES OBJEKT, ist es erst einmal erworben, leicht zu einer Regel übergeneralisiert wird, nach der jedes Verb nur genau eine Nominativergänzung habe. Das Verb SEIN z.B. wird aber, das zeigt dieser Fehler auch, durchaus mit zwei Nominativergänzungen konstruiert. Für welche der folgenden Verben gilt dies noch?

1) bleiben
2) werden
3) darstellen
4) gelten als
5) sich handeln um
6) fungieren als
7) bezeichnen als
8) behandeln wie

 

4.11 "Rom ist die schmutzte Stadt. (Rom ist am schmutzten.)" schreibt ein Lerner in einer Grammatik-Übung zum Superlativ. Was hat er in Bezug auf die Bildung des Superlativs verstanden und was nicht?

1) Er hat verstanden, dass der Superlativ wie ein normales Adjektiv dekliniert wird.
2) Er hat nicht verstanden, dass der Superlativ wie ein normales Adjektiv dekliniert wird.
3) Er hat verstanden, der Superlativ werde wie ein normales Adjektiv dekliniert, aber damit ist er im Irrtum.
4) Er hat verstanden, mit welchem Suffix der Superlativ gebildet wird.
5) Er hat den Unterschied zwischen der Bildung des attributiven und des prädikativen Superlativs verstanden.

 

4.12 Das Problematischste an den meisten Regeln ist die Art, wie sie formuliert sind. Grammatikterminologie ist schon als solche vielen Lernern ein Schreckgespenst, und sie werden Gründe dafür haben, an denen wir kaum noch etwas ändern können. Manche Grammatiktermini sind aber unabhängig von solchen psychologischen Momenten auch kognitiv nicht leicht zu greifen. Machen wir einmal eine kleine Probe – markieren Sie in jedem der folgenden Sätze das Subjekt des Hauptsatzes.

1) Das ist doch eine ziemliche Sauerei, oder?

2) Also den Boiler, den hat er gleich wieder mitgenommen.

3) Wer hier wen betrogen hat, ist nicht nur mir nicht klar, sondern wohl auch den Beteiligten nicht.

4) Wer dieses Ärgernis zu verantworten hat, kann ich nicht beurteilen.

5) Nichts spricht dagegen, scheint mir, die Sache einmal umgekehrt anzugehen.

6) Egal wie man es macht, von irgendwem wird einem hier immer irgendwas vorgeworfen.

7) Als normale Ausleihdauer für alle anderen Bücher gilt ein Monat.